Ausgelöwt

Die Ära Löw ist Geschichte. Der Weltmeistertrainer geht. Aber was bleibt? Und viel wichtiger, was kommt?

Die Zeit als Cheftrainer der deutschen Fussball-Nationalmannschaft, die letzten 15 Jahre zzgl. 2 Jahre als Co-Trainer hinter Jürgen Klinsmann, darüber könnte man ein ganzes Buch schreiben, ich versuche es aber kurz zu machen, gehe aber zuerst bis zum letzten WM-Titel zurück…

Nach dem Siegtor von Andreas Brehme in Rom übernahm Berti Vogts die Weltmeisterelf und Franz Beckenbauer machte diesen Rucksack gleich doppelt so schwer, als er mit der Wiedervereinigung die jetzt gesamtdeutsche Elf auf Jahre hinweg als „unschlagbar“ titulierte. Irgendwie verständlich, schließlich kam eine komplette Nationalmannschaft on top auf die Weltmeistertruppe.

EM 1992 in Schweden. Mehr oder weniger ins Finale geholpert. Gegen die McDonalds Dänen im Finale verloren. Bitter.

WM 1994 in den USA als Titelverteidiger überheblich und verstritten trotz Führung im Viertelfinale gegen Bulgarien raus

EM 1996 in England mit einer geilen Willensleistung Europameister. Golden-Goal-Geschichte geschrieben.

WM 1998 in Frankreich, überfordert und überaltert gegen Kroatien im Viertelfinale raus. Das „auf Jahre unschlagbare deutsche Team“ über dem Zenit und auch ein bisschen aus der Zeit gefallen. Die deutsche Fussballsinnkrise nimmt ihren Anfang.

EM 2000 in Belgien und Holland. Rumpelfussball, kein Glanz, das war nur noch peinlich.

WM 2002 in Japan und Südkorea dank Kahn und Ballack und günstigem Turnierverlauf (Paraguay, USA, Südkorea) überraschend Vize-Weltmeister.

EM 2004 in Portugal, ähnlich peinlich wie die EM 2000. Man musste Angst vor der Heim-WM 2006 haben.

WM 2006 in Deutschland. Ein Wort genügt um das Turnier zu beschreiben „Sommermärchen“.

Direkt nach der WM im eigenen Land übernimmt Joachim „Jogi“ Löw die Nationalmannschaft komplett, die 2006 begeistert hat und mit der man wieder Spaß hatte. Die Sinnkrise ist beendet.

Bei der EM 2008 in Österreich (Finale) und der WM 2010 in Südafrika (Dritter) hat er mehr erreicht als gedacht.

Man hatte das Gefühl, dass bei der EM 2012 in Polen und der Ukraine ein Titel möglich ist, aber im Halbfinale vercoacht sich Löw gegen Italien, als er Kroos auf Pirlo ansetzte.

Der Höhepunkt seiner Trainerlaufbahn dann bei der WM 2014 in Brasilien. Weltmeister! Verdient! Zwar mit Höhen und Tiefen, aber mit jeder K.O.-Runde wurden die Höhen höher.

Als amtierender Weltmeister wollte er es natürlich bei der EM 2016 in Frankreich nochmal versuchen. Aber die Mannschaft hatte nicht mehr den Glanz von vor 2 Jahren, sodass im Halbfinale gegen den Gastgeber Schluss war. Den Titel holten die Portugiesen.

Hier hätte er abtreten können, aber nur ein Jahr später stand schon der ConFed-Cup an, mit einer B-Elf gewinnt Löw auch diesen Titel. Das wäre doch ein schöner Abschluss gewesen. Aber Löw wollte wohl zeigen, dass er es nochmal schaffen kann. Immerhin trat er als amtierender Weltmeister 2018 beim Turnier in Russland an und scheiterte krachend (0:1 Mexiko, 2:1 Schweden, 0:2 Südkorea) in der Vorrunde. Zaudernd und zögernd bleibt Löw im Amt, wurde doch erst vor der WM sein Vertrag überflüssigerweise langfristig verlängert.

Löw sortiert drei Weltmeister aus. Das Echo ist geteilt. Ein Umbruch muss her, aber andere Spieler in dem Alter bleiben der Mannschaft erhalten. Also doch kein Umbruch, oder noch ein „Umbruch light“. Wieder zögert und zaudert er.

Die neue „Attraktion“ Nations-League soll es besser machen. Dort kann man sich mit den Besten messen um wieder zu alter Stärke zurück finden. Der Schuss geht nach hinten los. Es folgen immer mehr biedere Auftritte der „die Mannschaft“, der Fan (m/w/d) wendet sich immer mehr ab. Der DFB versinkt zudem in Führungsschwäche und Skandale. Man hat das Gefühl jeder siecht so vor sich hin.

Es folgen mit dem 0:6 gegen Spanien und dem 1:2 gegen Nordmazedonien (Löw: „die muss man erst mal schlagen“) weitere Blamagen. Daraus folgt die Umkehr vom Umbruch, Hummels und Müller werden kurz vor der EM reaktiviert. Wenn, dann zu spät. Reus, der vorher nicht Teil des Umbruchs war, geht den umgekehrten Weg und verzichtet von sich aus auf die transkontinentale Finalrunde. In 4 Wochen soll alles einstudiert werden. Wert soll auf die Defensive gelegt werden, das neue Allheilmittel ist die „Dreierkette“ oder „Fünferkette“ oder lt. Löw „egal in welcher Formation wir spielen, die Spieler müssen einfach die Positionen besetzen und dann sind wir sehr offensiv aufgestellt, mit der nötigen Balance nach hinten“. Nach einem echten Plan klingt das nicht. Die Mannschaft macht nach außen hin gute Miene zum falschen System. Klappen tuts aber nicht wirklich. Hinten offen, vorne bieder.

EM-Start. Endlich wird nicht mehr experimentiert, sondern Fussball gespielt. Endlich wieder 83 Mio. Bundestrainer. Ich mittendrin. Also los geht´s…

Ich war von Anfang an kein Freund der 3er Kette, da fühlen sich die meisten Spieler nicht wohl und sie können ihre Stärken nicht richtig auf den Platz bringen.

Die dadurch erhoffte defensive Stabilität war nicht da und offensiv war es mit Ausnahme des Portugal-Spiels (wo allerdings 2 der 4 Tore die Portugiesen für uns machen) sehr dünn.

Mir hat insgesamt der Mut gefehlt. Auch gegen Frankreich. Mit zunehmender Spieldauer gegen England. Das war zu bieder. Viel zu bieder.

Keine Überraschungsmomente, kein Systemwechsel. 26 Spieler dabei, aber falsch zusammen gestellt. Nur ein echter rechter „Schienenspieler“, aber da nicht übermäßig viel Vertrauen in Klostermann und dann noch verletzt, muss Kimmich den rechten Außenpart in der 3er/5er-Kette geben. Müller zurückholen, aber nicht auf der 10 einsetzen. Langes Festhalten an Kroos und Gündogan (also nicht der von ManCity, der andere). Musiala nach dem erfrischenden Einsatz gegen Ungarn gegen England bei 0:2 in der 92. Minute bringen. What? Sane und Gnabry im System falsch positioniert. Gosens ein super Spiel gegen Portugal, aber auch hier kein Back-Up für Leistungstäler. Deutschland hat seit Miro Klose keinen Mittelstürmer mehr. Volland hat in Monaco gut geknipst, aber ihn gegen Frankreich als Verteidiger zu bringen und gegen England als das Spiel gelaufen ist. Hmmm. Keinen Spieler für die 9 mit speziellen Fähigkeiten mitgenommen. Auch weil man über Jahre hinweg den „falschen Neuner“ gesucht hat. Vergebens. Selbst Spanien hat mittlerweile wieder Mittelstürmer. Sind aber in Deutschland rar. Aber wenigstens einen im Köcher haben. Sei es Terodde (ja, zweite Liga, ja HSV, ja jetzt Schalke, aber immerhin Mittelstürmer), oder Petersen (ja alt, ja kein Stammspieler in Freiburg, aber der kommt rein und trifft). Unterm Strich einfach die falsche Taktik (ohne Mut, bieder, einfallslos – hinten rum und hinten rum und dann lang vor), das falsche System (4-2-3-1 wäre es gewesen) und eine zu wenig ausgewogene Kaderzusammenstellung (Mittelstürmer, Außen mehr Varianten, Spieler mit besonderen Fähigkeiten, …).

Noch kurz zu Jogis letztem Spiel gegen England. Die ersten 10 Minuten waren echt gut, hat mich positiv überrascht, aber dann wurden wir immer passiver und die Engländer sind ja auch kein Wunderteam. Das Spiel hat meiner Meinung nach nur von der Spannung gelebt, ein gutes Spiel war es von beiden Mannschaften nicht. Am Ende hat die Mannschaft gewonnen, die zum Schluss hin etwas mehr Biss und Mut hatte. England holt aber sicher nicht den Titel.

Wenn ich generell unsere Art zu Spielen mit anderen Nationen vergleiche … und da meine ich nicht die vermeintlich „Großen“, sondern z.B. Schweiz, Dänemark, Schweden oder gar die Ukraine … da ist bei allen mehr Mut und Entschlossenheit zu spüren. Schade, denn wir haben schon das Spielermaterial um was zu reißen, aber nicht mit so einer Taktik, Aufstellung und Spieleinstellung. Nope.

Fazit:
Löw hatte eine tolle Zeit, angefangen als Co-Trainer von Klinsmann. Nach der enttäuschenden EM 2004 mit einem neuen Spirit ein tolles Turnier 2006 gespielt. 2008 und 2010 guten, teilweise erfrischenden Offensivfussball mit guten Ergebnissen gezeigt. 2012 war die Mannschaft noch nicht ganz so weit, aber 2014 folgte die verdiente Krönung. 2016 war „die Mannschaft“ schon etwas über dem Zenit, mit der B-Elf dann 2017 überraschend den ConFed-Cup gewonnen (was Teamgeist so bewirken kann), da „hätte er können müssen“ (wie er so schön sagt) aufhören sollen. Jetzt bleiben halt zunächst die letzten beiden Turniere in Erinnerung und da konnte er die Mannschaft einfach nicht mehr richtig auf- und einstellen. Als Vereinstrainer wäre er schon lange entlassen worden. Nach dem 0:6 gegen Spanien, spätestens nach dem 1:2 gegen Nordmazedonien, aber „die muss man ja erst mal schlagen“ (Zitat Löw).

Aufgrund der gezeigten Leistungen war das Ende abzusehen. Wenn man sieht wie die Franzosen ausgeschieden sind und uns Ungarn an den Rand einer Niederlage gebracht hat, dann sollte man sich vom Portugal-Spiel nicht blenden lassen und sich an Mexiko, Schweden und Südkorea erinnern. Dazu das Ausscheiden 2016 gegen Frankreich … heißt in 8 Turnierspielen in Folge in Rückstand geraten. Seine Sturheit hat ihn ein Stück weit um den Glanz seiner vorherigen Taten gebracht. Dennoch reiht er sich mit dem WM-Titel 2014 in die Riege der großen Fussball-Trainer dieser Welt ein.

Ich bin gespannt war Hansi Flick ändern wird und mit welchem Personal er das macht. Die WM 2022 im Fussballmutterland Katar steht schon in knapp anderthalb Jahren an, aber hierfür müssen wir uns erstmal gegen Teams wie Island, Rumänien, Armenien, Nordmazedonien und Lichtenstein durchsetzen um überhaupt dabei zu sein.

Danke und Auf Wiedersehen Jogi.
Servus Hansi, auf geht´s, pack ma´s!

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